Christian Schmid

Projektgruppe Community Media
Zürich

Geboren 1958 in Zürich, wo er lebt und arbeitet. War Mitglied der Projektgruppe Community Media. Heute Professor für Soziologie am Departement Architektur der ETH Zürich.

00:00 Start. 00:18: Herkunft und Kindheit. 03:04: Diskutieren über Gott und die Welt und mein Interesse am Film. 05:49: Ich studiere Geografie an der Universität Zürich und stosse auf Stadtforschung mit Video. 08:26: Ethnografische Videos zwischen Dokumentation, Partizipation und Aktivismus. 12:04: Wohnen an der Luisenstrasse. 13:50: Aktion Hellmutstrasse und wie Video einen Prozess vorantreiben kann. 17:30: Zur Situation der Jugendkultur in Zürich kurz vor der 80er-Revolte, eine Videodokumentation von innen. 19:19: Opernhauskrawall 30. Mai 1980. 21:48: Videobeam Projektion vom Opernhauskrawall-Film an der ersten Vollversammlung der «Bewegung» sorgt für Aufruhr. 29:23: Rückwirkungen auf die Methode der Aktionsforschung. 31:47: Wie es für die Gruppe «Community Media» weiterging, ein Film über die Verletzten der Krawalle. 34:11: Anarchie & Disneyland, ein Film über eine Hausbesetzung. 36:06: Was sind Bewegungsvideos? 36:51: Vom Videoaktivist zum Stadtforscher. 37:58: Urbane Bewegungen verstehen lernen mit Theorien der Stadtentwicklung. 38:42: Verbindung von Theorie und Praxis. 39:38: The Zurich Connection und das «Ssenter for Applied Urbanism» (SAU). 41:38: Die Rote Fabrik und ihre Konzeptveranstaltungen. 44:59: Aufbau von INURA, dem International Network for Urban Research and Action. 46:03: Akademische Wanderjahre und meine Berufung an die ETH-Zürich. 47:46: Was ich aus den urbanen Bewegungen und aus meiner Videopraxis gelernt habe. 52:08: Über die Aktualität von Bewegungsvideo.
Kommentar

Aktion Hellmutstrasse

Projektgruppe Community Media
Zürich

1979, 44 Min., U-matic low band, schwarz-weiss, 15 Min., Original online: Videosammlung Stadt in Bewegung (Schweiz. Sozialarchiv und Memoriav)

Dokumentation eines Häuserkampfs. Im ersten Teil wird die Besetzung der Hellmutstrasse durch die Aktionsgruppe Luft & Lärm gezeigt. Bekannt geworden ist das Video auch wegen den markigen Sprüchen von Stadtrat Max Koller über «amöbenhafte Gruppen», die ihm das Regieren schwer machen würden.

Stadtrat Max Koller
Als die Gruppe [Luft & Lärm] an uns wegen dieser Hellmutstrasse herantrat, sagten wir: Wir investieren in diese Häuser, die nach wie vor zum Abbruch bestimmt sind, rein gar nichts, denn das ist Geldverschleuderung. Es kommt uns nämlich billiger, auf die Mietzinse, die wir so haben könnten, zu verzichten, als noch Geld hineinstecken zu müssen. Aber gut, wenn die bereit sind, diese Löcher zu übernehmen, dann sollen sie diese haben. Wir verlangen keinen Mietzins. Dann wohnen sie halt entweder in Löchern oder sie investieren selber etwas.
Was wir nicht wollen, das sind diese amöbenhaften Gruppen, die jeden Tag wechseln. Es hängt ja alles immer davon ab: Hat man es mit einem Partner zu tun, wo eine gewisse Ordnung herrscht und ein gewisses Rechtsempfinden hat, das heisst, dass man in einem gegenseitigen Verhältnis steht. Aber heute kommen wir immer an Leute heran, die denken nur an ein einseitiges Verhältnis: Die wollen nur!
Sie haben sich anständig verhalten, deshalb haben wir auch mit ihnen verhandelt, sonst hätten wir das gar nicht gemacht, denn ich liess mich in meinem ganzen Leben nie erpressen. Die Lebensgeschichte von jedem einzelnen haben wir nicht untersucht.
Versprechungen gelten heute nichts mehr. Wer heute eine Wohnung erhält und man sagt ihm: Zwei Jahre können Sie drin bleiben, der will nach zwei Jahren die Wohnung nicht verlassen. Alle Schwüre von denen, die in dieses Büro kommen und sagen: Wir wissen es, wir werden dann wieder ausziehen, wenn ich jetzt nur ein Dach über dem Kopf erhalte, gelten nach zwei Jahren nichts mehr!

Leben in die tote Fabrik

Projektgruppe Community Media
Zürich

1980, 42 Min., U-matic low band, schwarz-weiss, 7 Min. (Auszüge), Original online: Videosammlung Stadt in Bewegung (Schweiz. Sozialarchiv und Memoriav)

Zwei rauschende Nächte in der Roten Fabrik in Zürich (17./18. Mai 1980), erste grosse Vollversammlung (VV), an der die Demo vor dem Opernhaus beschlossen wird. Auftakt zum Opernhauskrawall und zur 80er-Bewegung.

Am offenen Mikrofon
Es ist gar nicht so wichtig, dass wir unsere politischen Ansichten genau definieren. Wir haben ein konkretes Ziel: Dass wir auf dieser Welt leben wollen, und zwar leben, wie es sich leben lässt, eben in unserer Kultur. Unsere Musik, unsere Malerei und auch unsere Schriftsteller: Unsere Kultur leben. Und deshalb brauchen wir auch einen Ort, wo wir leben können. Einem Opernhaus wird Platz eingeräumt, da werden Millionen gegeben. Und Autos haben auch überall Platz. Ich finde, wir sollten auch noch Platz haben auf dieser Welt! Deshalb sind wir jetzt da, nehme ich an.

 

Opernhaus-Krawall

Projektgruppe Community Media
Zürich

1980, 9 Min., U-Matic low band, schwarz-weiss, 5 Min. (Auszüge mit einer Vorrede), Original (ohne Vorrede) online: Videosammlung Stadt in Bewegung (Schweiz. Sozialarchiv und Memoriav)

Video von Studierenden der Ethnologie (Projektgruppe Community Media) über die Demo vom 30. Mai 1980 vor dem Opernhaus. Der Opernhauskrawall war der Auftakt zu den Zürcher Jugendunruhen. Das Video wurde an einer Vollversammlung (VV) im Volkshaus gezeigt und darauf vom damaligen Zürcher Erziehungsdirektor Alfred Gilgen mit einem Vorführverbot belegt, was in der Folge für einigen Wirbel an der Universität sorgte. Ausschnitte davon wurden in Züri brännt und in verschiedenen anderen Produktionen verwendet.

Gwalt

Godzilla & Co
Zürich

1981, 32 Min., U-matic low band, schwarz-weiss, 8 mins, Original online: Videosammlung Stadt in Bewegung (Schweiz. Sozialarchiv und Memoriav)

Dokumentation von brutalen Polizeieinsätzen und von Verletzungen von Demonstranten durch Gummigeschosse und Polizeiknüppel, produziert für das «Tribunal» vom Januar 1981 im Volkshaus Zürich. Auf Verlangen der Betroffenen wurde dieses Tape nach der ersten Aufführung im Volkshaus nicht mehr öffentlich vorgeführt. Das Interview mit Max im Film Dani, Michi, Renato und Max (1987) von Richard Dindo stammt aus diesem Video.

 

 

 

Anarchie & Disneyland

Universitätstrasse 89 zusammen mit Christian Schmid
Zürich

1982, 70 Min., U-Matic, Farbe, 13 Min. (Auszüge), Original online: Videosammlung Stadt in Bewegung (Schweiz. Sozialarchiv und Memoriav)

Die Geschichte des Kampfs um die Zürcher Liegenschaft Universitätsstrasse 89 sowie deren Besetzung Anfang der 1980er-Jahre. Impressionen aus den Wohnungen, Interviews mit Passantinnen und Bewohnern sowie mit Behördenvertretern. Diskussionen im Haus.

Interviews mit Passantinnen (B, C, D) und einem Passanten (A) vor der Universitätsstrasse 89
A   Das macht einen furchtbar schlechten Eindruck. Das ist ein Fremdkörper in unserem Quartier Oberstrass. Und wen man da hinein und hinausgehen sieht, ist eine Katastrophe. Das ist eine Filiale vom AJZ [Autonomes Jugendzentrum] und gar nichts anderes.
B    Das ist nicht gerade das Beste. Wenn man da etwas schütteln würde, kämen allerhand Sachen zum Vorschein. Oben sitzen manchmal Fräuleins an den Fenstern und lassen ihre Beine heraushängen. Und Langhaarige gibt es hier. Mir wäre es Recht, wenn da etwas anderes gebaut würde, denn es ist ein alter Kasten.
C    Wenn man die Leute sieht, die herauskommen, hat man schon das Gefühl, dass es etwas ist, das nicht mehr in die heutige Gesellschaft passt. Oder sie wollen die Gesellschaft einfach radikal ändern.
D    Diese Bude ist ja furchtbar! Das ist kein Renommee für Zürich. Eine Tschinggen-Bude [Bruchbude mit Italienern]!

Aus einer Haussitzung: Bewohner A (m), B (w), C (m), D (m)
A    Und Du willst eine Anzeige bei der Polizei machen, weil Leute in unserem Estrich schlafen! Kannst du mir sagen weshalb? Ich kann das nicht nachvollziehen.
B    Okay, mir ist das Ganze über den Kopf gewachsen: überall in diesem Haus, wo man den Fuss hinsetzt, sind irgendwelche, die du weder kennst, noch weisst du, was sie hier machen, ob es Mitbewohner sind oder irgendwelche Herumhänger oder Besuch. Oder ob sie gerade daran sind, den Dachboden auszuräumen. Das ist schon einmal geschehen.
A    Ja, das weiss ich.
B    Es ist uns auch schon Geld geklaut worden. Diese Geschichten kennt man.
A    Aus den Wohnungen heraus, ja das stimmt.
B    Und bei jedem, den du siehst, denkst du: Was ist das für ein Typ? Die Fluktuation im Haus ist gross und es gibt keine zentrale Kontrollstelle, wo du dich informieren kannst.
A    Du lebst ja von deiner Kunst und für dich ist alles Kunst, sogar eine Anzeige bei den Bullen. Und da hört es für mich auf. Nicht das ganze Leben ist ein Akt von Kunst.
C    Irgendwo hat es einfach Grenzen!
D    Ja, bei dir schon. Und ich sehe auch ein, dass es irgendwo Grenzen hat. Aber jetzt übernachten ja nur noch zwei oben, und ich finde, das liegt innerhalb der Grenzen. Bei uns im ersten Stock: Was meinst du wie viele Leute tagtäglich hereinkommen, die du hinauswerfen musst? Weisst du, so verdammte Penner und Alkis. Aber ich hole nicht die Bullen, sondern ich kann selber noch etwas machen, ich werfe sie einfach hinaus.

 

 

 

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