Kommentar Sue Hall

Sue Hall lebt und arbeitet in London und war Mitbegründerin der Fantasy Factory –  zusammen mit John «Hoppy» Hopkins, den ich im letzten Mail vorgestellt habe. Das Porträt von Sue Hall zeigt, wie jemand im London der 60er-Jahre aufwuchs und sich kulturell und politisch zu engagieren begann. (vgl. Sue Hall Video 05.41: I turn to music and clubbing)

Sue Hall hat sich in ihrem Videoschaffen vorwiegend mit der Hausbesetzerszene im Norden Londons beschäftigt. Die 1970er-Jahre waren die Blütezeit der Squatter. Es gab im Grossraum London schätzungsweise 30’000 Hausbesetzerinnen und Hausbesetzern. Die Szene war über viele Jahre ein wichtiger Nährboden für die urbane Subkultur.

Sue Hall: «Wir waren selber Hausbesetzer, kamen also nicht von ausserhalb. Zuerst sträubten sich die Leute gegen Video. Wir nahmen Kamera und Rekorder und liessen sie damit hantieren. Wir zeigten: So machst du das, so kannst du zoomen und fokussieren. Nachdem die Leute es selbst ausprobiert hatten, waren sie beruhigt. Das war ganz entscheidend. Wir machten viele Videoaufzeichnungen von Hausbesetzungen, Partys, Räumungen, Strassenaktionen, Lesungen, Seminaren, Demonstrationen. Wir zeigten sie dann den Hausbesetzern im Quartier und auch jenen in anderen Teilen von London.» (vgl. Sue Hall Video 11.34: Participant observation)

Ich wünsche anregende Videolektüre!

Heinz Nigg

P.S. Die Londoner haben den Wert ihrer Videobewegung der 1970er- und 1980er-Jahre erkannt. 2016 wurde das London Community Video Archive eingerichtet, das online zugänglich ist. Auf der Website vom LCVA heisst es: «Our aim is to draw attention to these unheard voices and images, and to enable them to be used as a resource for contemporary debates and activism.»

Das unabhängige Videoschaffen und das internationale Phänomen der Jugendbewegungen in Europa befeuerten sich in den 1970er- und 1980er-Jahren gegenseitig: Die jungen Aktivisten entdeckten das Video als neues Medium, brachten Proteststimmungen zum Ausdruck und kämpften um autonome kulturelle Freiräume. Videoproduktionen entstanden partizipativ, unmittelbar und schnell; sie markieren einen wichtigen Schritt ins digitale Zeitalter.

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